Warum Böblingen?
Dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs rund 3,5 Millionen Sudetendeutsche ihre Heimat verloren haben, findet heute in den Medien kaum noch Beachtung. Entgegen der häufig falsch angewandten Bezeichnung handelt es sich auch nicht um Flüchtlinge, sondern überwiegend um Vertriebene, die man mit Gewalt zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen hat. Gegen ihren Willen in Eisenbahnzügen in das zerstörte Deutschland abtransportiert, hat man sie einer ungewissen Zukunft ausgesetzt. Sie brachten nach Deutschland ihren Glauben, ihre Kultur und Zuversicht mit.
Zwischen August und Oktober des Jahres 1946 kamen drei Eisenbahnzüge mit Vertriebenen aus dem Nordböhmischen Niederland am Böblinger Bahnhof an. In der in Trümmern liegenden Stadt wurde jede Hand gebraucht und so waren die deutschsprachigen Neuankömmlinge sehr willkommen. Die meisten von ihnen waren gut ausgebildete Arbeiter, darunter auch viele Fachleute. Sie beteiligten sich am Wiederaufbau, integrierten sich problemlos und fanden hier eine neue Heimat.
Die vertriebenen Niederländer sind ein Teil der Geschichte Böblingens.
Patenschaft über das Niederland
Böblingen erwies sich stets als vorbildlicher Unterstützer der Belange der kleinen Volksgruppe aus Nordböhmen. Die Stadt übernahm drei Patenschaften über die Herkunftsorte der Niederländer und stellte Räumlichkeiten für deren Geschichte und Kultur zur Verfügung. Das Kulturgut im Heimatmuseum Nordböhmisches Niederland erinnert und mahnt …
Gestaltung des Heimatmuseums
Die Ausstellung gliedert sich in sieben thematisch und räumlich unterteilte Bereiche:
- Vertreibung der Niederländer
- Sonderausstellungen
- Landschaft und Infrastruktur
- Industrie und Handwerk
- Gemälde der Heimatmaler
- Das Vereinsleben
- Volkskultur und Brauchtum
- Christentum
Vertreibung der Niederländer
Angeordnet durch tschechische Nationalkomitees, begannen im Monat des Kriegsendes die ersten, sog. „wilden Vertreibungen“. In langen bewachten Fußmärschen, mit dem Allernötigsten auf dem Buckel oder Leiterwagen, trieb man die Menschen über die Grenze.
Im Herbst 1945 folgten systematische Vertreibungen. Die für eine Ausweisung bestimmten Menschen wurden zu je 1200 Personen pro Eisenbahnzug in die deutschen Zielorte abtransportiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten insgesamt 94 Tausend Menschen das nordböhmische Niederland zwangsweise verlassen. Die Bevölkerung reduzierte sich dadurch um 83%.
Quelle: Dr. Wilhelm Pfeifer – Weißbuch Niederland
Über die Ereignisse der ersten Nachkriegsjahre bewahrt das Heimatarchiv wertvolle Dokumente. Sie stehen den Heimat- und Ahnenforschern, die an ostdeutscher Geschichte interessiert sind, zur Verfügung.
Mittlerweile ist die Erlebnis-Generation am Aussterben, weshalb es höchste Zeit ist, das vorhandene Wissen zu dokumentieren und aufzubewahren. Das Heimatarchiv nimmt fortlaufend Zeugnisse, Aufzeichnungen und Tatsachenberichte zur Vertreibung entgegen.
Landschaft und Infrastruktur
In der hügeligen Landschaft des Niederlandes ist das Oberlausitzer Umgebindehaus eine typische Bauweise. Die auf ein massives Holzfachwerk zurückzuführenden Eigenschaften bieten nicht nur eine sehr gute Wärmedämmung, sondern hielten auch den Erschütterungen des einst stark verbreiteten Webstuhls stand. An dem zu Wohnzwecken vorgesehenen Hölzernen Gebäudeteil war häufig ein gemauerter Teil angebaut, in welchem meist Nutztiere untergebracht waren. In der Gegend dienen heute noch viele, zum Teil Jahrhunderte alte Umgebindehäuser, den Menschen für Wohnzwecke.
Eine Bilder-Kollektion auf Dreh-Tafeln, gibt Aufschluss über die wichtigsten Heimatorte und deren Umgebung.
Ein von Wilhelm Hampel geschaffenes Landschaftsrelief stellt die plastische Abbildung des Schluckenauer Zipfels dar.
Industrie und Handwerk
Der weitaus größte Anteil des Lebensunterhalts im Niederland beruhte auf der Erzeugung von Webwaren. Aus dem traditionellen Leinweber-Handwerk schufen bedeutende Männer eine weltweit erfolgreiche Textilindustrie, welche der Bevölkerung einen hohen Lebenstandard sicherte.
Einblicke in den Alltag der Leinweber, Zwirner und Strumpfwirker.
Hilfsmittel der Heimweber und gewebte Tücher.
In der Industrielandschaft des Schluckenauer Zipfels nahm die Nixdorfer Messerindustrie eine wichtige Stelle ein. Hervorgegangen aus dem alten Handwerk der Messer- und Scherenschleifer entwickelte sich ein bedeutender Industriezweig, der die gesamte Region wirtschaftlich aufblühen ließ.
Die ausgestellten Taschenmesser, Essbestecke sowie weitere Erzeugnisse aus Nixdorfer Messerfabriken sind eine Dauerleihgabe unseres Landsmannes Wilhelm Rösler aus Solingen. Er erstellte zu diesem Thema auch eine umfangreiche Dokumentation.
In Ober-Kreibitz steht heute noch eine Glashütte, die zu den ältesten in Mitteleuropa gehört. Ihre Geschichte ähnelt den vielen anderen Glashütten Nordböhmens, in denen Glasmacher, Glasveredler und Erfinder ein Handwerk zur Kunst machten. Die gefragten Schöpfungen machten die Erzeugnisse einst weltberühmt.
Bleikristall- , Überfang-Glas sowie Glasmalerei gehörten zu bevorzugten Produkten der Ober-Kreibitzer Glasindustrie
Gemälde der Heimatmaler
Aquarelle von Eva Diana Luke, Albin Altmann,
Ladislaus Maysrtryczin und W. Lauermann
Das Vereinsleben
Volkskultur und Brauchtum
Original Hochzeitskleid der Anna Keil aus Schönlinde um 1903
Steckkissen mit Kinderpuppe
Zwei Nachgebildete Trachten von Edda Fritsch Frind weisen hin auf das Volksbrauchtum im Niederland um das Jahr 1800
Christentum